Man stelle sich vor, irgendwann in den 1940er Jahren einer alternativen Zeitlinie sei an der Pazifikküste der USA ein merkwürdiges Experiment schiefgegangen. Das entsprechende Gebiet musste anschließend mit einer gewaltigen Mauer abgeschottet werden, weil sich darin allerhand seltsame Sachen taten. Bis heute weiß niemand so recht, was dort im Einzelnen vor sich geht.
Nun schreiben wir das Jahr 1998 und wir übernehmen die Rolle eines Kurierfahrers, der in der Nähe der Mauer irgendwo irgendetwas abliefern soll. Wir rollen also mit unserem Lieferwagen eine Straße an der Mauer entlang, bis plötzlich der Motor versagt und wir mitsamt unseres Lieferwagens in die Höhe gesaugt werden.
Ein blendendes Licht, dann gehen uns selbige aus und wir erwachen einige Zeit später auf der anderen Seite der Mauer – und damit in der „Zone“, in der die Naturgesetze offenbar verrückt spielen. Unseren Lieferwagen hat es komplett zerlegt, die Einzelteile schweben in Baugruppen über dem Boden. Und über Funk rät uns eine Stimme, möglichst schnell ein Fortbewegungsmittel zu finden und dort zu verschwinden.
Das ist die Ausgangssituation in „Pacific Drive“.
Wir bewegen uns in der Egoperspektive voran und entdecken relativ schnell eine Garage mit einem uralten, ziemlich schrottigen Kombi. Dem müssen wir zuerst einmal ein neues Vorderrad montieren, dann können wir einsteigen und losfahren.
Dabei müssen wir ordentlich Gas geben, denn über Funk treiben uns zwei Burschen namens Tobias und Francis an und machen Stress, wir müssten uns unbedingt sofort einen Unterschlupf suchen. Den finden wir dann auch in Form der Garage einer Dame namens Oppy, die uns anfangs ziemlich widerwillig die Benutzung ihrer Gerätschaften erlaubt.
Die Garage entpuppt sich recht schnell als unser zukünftiges Hauptquartier. Hier reparieren wir unseren Kombi, rüsten ihn auf und aus, rüsten die Garage mit Gerätschaften auf und planen unser weiteres Vorgehen, um schlussendlich nicht nur aus der Zone zu flüchten, sondern auch noch deren Geheimnis zu ergründen. Dabei bekommen wir nach und nach immer mehr Unterstützung von Tobias, Francis und Oppy – die in dem ganzen Schlamassel übrigens eine weitaus größere Rolle spielen, als es anfangs den Anschein hat.
Von der Garage aus fangen wir dann an, die Zone zu erkunden. Wir fahren die Straßen von festgelegten Gebieten ab, plündern Autowracks und Gebäude und versuchen anschließend, wieder heil zur Garage zurückzukommen. Dabei müssen wir eine Art Teleporter benutzen, was allerdings dann zu einem wilden Autorennen führt, weil wir binnen einer vorgegebenen Zeit einen bestimmten Punkt auf der Karte erreichen müssen. Schaffen wir es nicht, nimmt das Auto massiven Schaden und wir verlieren einen Großteil unserer Beute.
Ich habe jetzt ca. 5 Stunden auf dem Tacho und dabei gerade mal die Einführungsmissionen geschafft. Oppy hat mich gerade losgeschickt, um ein wenig die Umgebung zu erforschen, damit wir die nächsten Schritte planen können. Heißt im Klartext: Ich bin jetzt in die Open World entlassen und das Tutorial ist beendet.
Die Idee ist wirklich nicht von schlechten Eltern: Ein Survival-Spiel, bei dem man nicht zu Fuß durch die Gegend rennt, sondern mit einem Auto herumfährt. Es gibt zwar auch Passagen zu Fuß, denn man muss ja schließlich aussteigen, um Autowracks und Gebäude zu plündern, doch der Kombi ist eigentlich Dreh- und Angelpunkt des ganzen Spiels.
Er ist nicht nur Fortbewegungsmittel, sondern auch fahrbares Materiallager (die Pappkartons im Kofferraum haben ein deutlich höheres Fassungsvermögen als der Rucksack) und Fertigungsanlage (es gibt eine Mini-Workbench im Kofferraum, mit der die wichtigsten Gegenstände unterwegs angefertigt werden können).
Die Reisen mit dem Kombi starten immer in der Garage. Hier legt man am Navigationscomputer den Kurs zum nächsten Gebiet fest, das man erforschen möchte. Dorthin geht es dann mit einer Art Teleport. Man muss also nicht die gesamte Strecke dorthin zurücklegen. Dafür ist man dann aber innerhalb des Gebietes unterwegs – und das ist schon haarig genug.
Man stolpert nämlich über haufenweise Anomalien. Merkwürdige Wirbelstürme, die das Auto herumkreiseln lassen. Fliegende Drohnen, die versuchen, das Auto wegzuschleppen. Andere Drohnen, die sich an das Auto heften und nach einer Weile explodieren. Elektrische Felder oder Türme, die Stromstöße verteilen. Und Radioaktivität, aber die ist erst dann gefährlich, wenn man das Auto verlässt.
Damit sind wir dann auch schon beim Nervelement des Spiels: Das Auto hält anfangs nicht allzu viel aus. Ich musste dauernd mit platten Reifen, einer leeren Batterie oder einem leeren Tank kämpfen. Obwohl … Letztgenanntes hatte ich eigentlich ziemlich gut im Griff. Man sollte aber immer genügend Reparaturkitt (ja, tatsächlich Kitt), Abdichtsets für die Reifen und zur Not genügend Rohstoffe für die Fertigung neuer Karosserieteile im Gepäck haben. Sprit kann man bei Autowracks am Straßenrand abzapfen – oder man hat das Glück, eine verlassene Tankstelle zu finden.
Trotzdem ist es am Anfang ziemlich bockschwer, sich durch ein „ganz einfaches“ Gebiet zu bewegen, ohne das Auto weitestgehend zu schrotten. Alle paar Meter wartet irgendeine Gefahr. Und so lange man diese Gefahren nicht kennt, ballert man natürlich volles Rohr rein, ohne lange darüber nachzudenken.
Die Teleport-Sequenz, die mich zurück zur Garage hätte bringen sollen, hat mich dann auch nochmal ordentlich überrascht. Man muss an einem sogenannten „Ankerpunkt“ eine Gerätschaft aufnehmen und in eine andere Gerätschaft im Auto einsetzen. Damit startet man die Sequenz. Und erst dann bekommt man einen Punkt auf der Karte, zu dem man sich begeben muss. Und dafür hat man eben nur begrenzte Zeit. Das Ganze erinnert mit ein bisschen an diese Battle-Royale-Shooter, bei denen das Spielfeld immer kleiner wird. Schafft man es nicht rechtzeitig, dann wird man mit einem schrottreifen Auto übelst angeschlagen in die Werkstatt teleportiert und kann dann zusehen, wie man die Karre wieder mit Bordmitteln zusammenflickt.
Besonders fies ist, dass die Gebiete in bester Rogue-Manier jeweils prozedural zusammengebaut werden. Wenn man mehrfach in ein Gebiet fährt, findet man also immer andere Gegebenheiten vor. Das gilt übrigens für das gesamte Gelände. Es kann also sein, dass der Extraktionspunkt beim Teleportieren irgendwo im unwegsamen Terrain liegt und der Kombi nicht genug PS hat, um es bis dorthin zu schaffen. Bauf, schon ist die olle Scherbel demoliert.
Obwohl der ziemlich brüchige Kombi gerade am Anfang ziemlich nervt, finde ich das Spiel irgendwie cool. Das Fahren macht Laune – eben auch, weil das richtig schön simuliert ist. Und es sieht richtig gut aus. Ein bisschen comicmäßig, aber trotzdem sehr stimmungsvoll.
Und dann ist da noch das Sounddesign. Das ist wirklich sensationell. Ich würde „Pacific Drive“ jetzt nicht als Horrorspiel deklarieren, aber der Sound sorgt manchmal schon für Gänsehaut. Die stärksten Parallelen meine ich übrigens zu „Chernobylit“ zu erkennen. Das, eben nur mit einem Auto.
Ach ja, ein Kampfsystem habe ich bislang nicht entdeckt und auch nicht gebraucht. Man hat zwar allerhand Werkzeuge zur Verfügung, darunter auch ein Brecheisen oder einen Pneumatikhammer, doch die dienen eher dazu, Behälter aufzubrechen oder schlichtweg zu zertrümmern. Genau genommen gibt es auch keine Gegner, gegen die ich kämpfen könnte. Die Gefahr geht von den Anomalien aus, denen man schlichtweg aus dem Weg gehen muss.
Jetzt bin ich mal gespannt, wo mich die Reise in der Zone noch hinführen wird. In jedem Fall ist „Pacific Drive“ für mich schon der zweite echte Glücksgriff in diesem Jahr, gleich nach dem völlig durchgeknallten Choo-Choo Charles, das ich inzwischen übrigens zum ersten Mal durchgespielt habe.
Wer gerade am Anfang ein bisschen frustresistent ist, für den habe ich hier eine dicke Kaufempfehlung!
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