„Flight of Nova“ – Hardcore im niedrigen Orbit

„Flight of Nova“ – Hardcore im niedrigen Orbit

Ein einzelner Typ setzt sich hin und fängt an, ein Spiel zu programmieren. Viel Erfahrung hat er offenbar nicht, aber er begeistert sich für Luft- und Raumfahrt und hat auch schon einmal versucht, einen Hubschrauber-Simulator zu programmieren, was aber mittendrin abgebrochen wurde.

Nun haut er einen futuristischen Flugsimulator raus. Darin schlüpft man in die Rolle eines Transportpiloten im Noren-Sternsystem. Man steuert einen Senkrechtstarter – ein sogenanntes VTOL („Vertical Take-off and Landing“) und schippert damit Fracht und Waren von einer Bodenstation zur anderen. Hat man etwas Erfahrung gesammelt, dann darf man auch fliegende Trägerplattformen, die „Sky Barges“, anfliegen. Und mit etwas mehr Erfahrung bekommt man schließlich Transportaufträge, die zu den Raumstationen im Orbit und wieder zurück führen. Zwischendurch gibt es auch den einen oder anderen Aufklärungsauftrag. Es gilt, verlorene Fracht wiederzufinden oder ein unbekanntes Objekt zu scannen.

Es gibt einen „Free Flight Mode“, in dem man sich einen Startpunkt aussucht und dann einfach drauflosfliegen kann. Es gibt „Map Operations“, bei denen verschiedene Aufträge abgearbeitet werden müssen, um mehr Aufträge freizuschalten. Und es gibt den „Rogue Mode“, bei dem man sich die Aufträge frei aus einer sich ständig erneuernden Liste aussuchen kann und mit jedem erfüllten Auftrag im Erfahrungslevel aufsteigt. Und dann natürlich noch ein Tutorial, in dem man Schritt für Schritt die Steuerung eines VTOL lernt. Dazu noch drei unterschiedliche VTOLs mit unterschiedlichen Flugeigenschaften und unterschiedlichen Möglichkeiten des Frachttransports.

Tja, und das war’s dann auch im Wesentlichen. Keine Story, kein Kampfsystem, keine Bewaffnung, keine Bedrohungen, keine Zeitlimits. Immer die gleichen Missionen: Fliege von A nach B oder fliege nach A und scanne Objekt B. Dazu eine Spielwelt, wie sie langweiliger nicht sein könnte. Ein öder Planet ohne Vegetation, ein paar in die Landschaft geklatschte Quader, die die unterschiedlichen Bodenstationen darstellen sollen. Bisschen Wolkentextur, bisschen Beleuchtung. Gesteuert wird mit einem Controller oder einem HOTAS. Sonderlich viele Tastenbelegungen gibt es nicht. Und alles noch völlig unfertig und ungeschliffen. Ob daraus wirklich jemals so etwas wie ein „richtiges“ Spiel wird, steht noch in den Sternen. Early Access geht bei Solo-Entwicklern gerne auch mal in die Hose.

25 Euro habe ich für dieses Machwerk über die Theke geschoben.

Und ich habe nicht einen einzigen Cent davon bereut!

Ein schwerer Transporter startet von einer Bodenstation, um einen Container abzuliefern.

Ehrlich, Leute, was der Entwickler „Aerovery Lab“ hier abliefert, ist ganz, ganz großes Tennis! Selbst wenn das Projekt „Flight of Nova“ floppen sollte und eingestampft wird, bietet es in jedem Fall eine geniale Blaupause für eventuell kommende Titel. Das Potential ist nicht nur vorhanden, es ist schon schier überpräsent. Das spiegelt sich auch darin wieder, dass ich schon über 20 Stunden in diesem … äh … Spiel verbracht habe und einfach nicht genug davon bekommen kann.

Start in den Sonnenaufgang. Das HUD bietet alle notwendigen Informationen, um den Transporter sicher zum Ziel zu bringen.

Auch wenn das Spiel trotz der öden Landschaft und der unspektakulären Gebäude wirklich unverschämt gut aussieht – meine Begeisterung liegt keinesfalls alleine an der Optik. Es ist vielmehr das unglaubliche Fluggefühl, das sich einstellt. Denn die VTOLs lassen sich wirklich sensationell steuern. Das größte Problem dabei ist lediglich der Copilot, den das Spiel zur Verfügung stellt. Der ist nämlich ein richtiges Arschloch und fordert auf extreme Weise die Flugkünste des Piloten. Der Bursche ist übrigens ziemlich bekannt.

Es gibt auch eine Cockpitansicht, die aber gerade bei kniffligen Zielanflügen nicht wirklich zu empfehlen ist.

Sein Name: Sir Isaac Newton.

Alles in diesem Spiel unterliegt den Newtonschen Regeln. So fliegen sich die VTOLs innerhalb der Atmosphäre eher wie Hubschrauber. Man muss permanent mit dem Schub spielen, um die Dinger auf Höhe zu halten. Außerdem versuchen die VTOLs, in alle möglichen Richtungen abzuhauen, sodass ein dauerndes Gegensteuern notwendig ist. Wer schon einmal versucht hat, einen Modellhubschrauber zu steuern, der weiß, was ich meine.

Einige Landeplattformen liegen im Inneren von Gebäuden. Hier ist filigrane Navigation mit viel, viel Fingerspitzengefühl gefordert.

Entspannung gibt es nur, wenn man etwas längere Distanzen überbrücken muss. Dann kann man vom VTOL-Modus in den Cruise-Modus umschalten und das Luftfahrzeug kurzfristig in eine Art Flugzeug verwandeln. Allerdings kommen auch hier die Newtonschen Regeln zur Anwendung und es gilt, rechtzeitig zu bremsen, ohne gleichzeitig gnadenlos wegzusteigen.

So richtig lustig wird die Sache allerdings erst, wenn man eine Raumstation im Orbit anfliegen möchte.

Ein Shuttle startet in den Orbit. Vom VTOL- in den Cruise-Modus schalten – und dann Vollgas, bis zur Fluchtgeschwindigkeit!

Um die Sache einigermaßen einfach zu halten, sind alle Boden-, Luft- und Raumstationen entlang des Äquators aufgereiht. Man muss also „nur“ das Startfenster abwarten, dann mit Vollgas einen Wegpunkt erreichen, das VTOL auf die richtige Höhe bringen und dann an die Station andocken. Eigentlich ganz einfach, oder?

Denkste!

Über die Wolken …
… bis in den Orbit.

Das Problem: Die Zielstation kreist mit einer Geschwindigkeit von 7800 m/s rechtläufig um den Planeten. Das VTOL startet bei Null und muss dann beschleunigen, bis es auf eine ellipsenförmige Umlaufbahn mit einer Apoapsis von 185 km einschwenkt. Danach muss es auf dieser Höhe beschleunigen, bis es die 7800 m/s erreicht, um sich auf der gleichen Umlaufbahn und mit der gleichen Geschwindigkeit zu bewegen, wie es die Station tut. Nicht selten wird das VTOL während der Beschleunigungsphase von der Station „überholt“.

Wer bis hierher schon ausgestiegen ist: Glückwunsch, genauso ging es mir bei meinem ersten Start in den Orbit auch!

Zielanflug auf Station „Becca“, hier schon in der Endphase kurz vor dem Docken.

Auch wenn das Tutorial für den Anflug auf eine Raumstation schon sehr gut ist, ist es durchaus ratsam, sich zumindest auf Wikipedia ein wenig mit den Grundbegriffen vertraut zu machen. Außerdem schadet es nicht, sich ein paar Videos auf Youtube anzuschauen. Hier haben einige Erklärbären verdammt gute Arbeit geleistet.

Hat man das Shuttle dann in einem Orbit mit der Station … nun, dann muss man eben noch hinkommen zu der Station. Das ist dann noch einmal eine ganz andere Herausforderung – insbesondere, weil das Shuttle zwar einen kernigen Hauptantrieb hat, aber die Bremstriebwerke hingegen eher mickrig ausfallen. 20 m/s kommen einem beim kilometerlangen Anflug auf die Station eher läppisch vor und es scheint nichts voranzugehen. Ist man dann aber bis auf 300 Meter ran, dann werden die 20 m/s immer sportlicher. Vor allem, wenn man sie mit den Bremsdüsen nicht mehr ausgeglichen bekommt. Klatscht man dann mit 10 m/s gegen die Station, dann war’s das.

Für das Andocken an Luftschleusen steht eine spezielle Kameraperspektive zur Verfügung.

Das Navigieren in Schwerelosigkeit ist übrigens generell eine ganz andere Ansage als das Fliegen in Bodennähe. Hier gilt streng das Prinzip von Schub und Gegenschub. Einzige echte Hilfe ist die „Kill Rotation“-Taste, falls das VTOL einmal hoffnungslos ins Kreiseln geraten sollte. Ansonsten müssen alle Geschwindigkeitsvektoren manuell ausgeglichen werden. So wird es zeitweise notwendig, das VTOL um 180° zu drehen und mit dem Hauptantrieb dagegen zu halten, um nicht zu zerschellen. Aber Vorsicht, der Treibstoff ist eng begrenzt!

Zack! Angedockt!

Ehrlich, ich hätte es nie gedacht, dass ein unfertiges, nahezu inhaltloses Projekt, das eher an ein Physikexperiment erinnert als an ein Videospiel, einen derartigen Spaß machen kann. Man kann sich kaum die unfassbare Befriedigung vorstellen, wenn die Dockklammern einrasten und die entsprechende Bildschirmmeldung kommt. Und dann die Optik! So einfach auch alles gestrickt ist – „Flight of Nova“ bietet wirklich atemberaubende Panoramen, insbesondere von den Raumstationen aus.

Vor allem bekommt man eine recht gute Vorstellung davon, mit welchen Problemen Astronauten konfrontiert sind, wenn sie versuchen, an die ISS anzudocken. Wer einmal erfolgreich an die Station Auken oder Becca angedockt hat, der weiß, weswegen die Anflüge teilweise quälend lange dauern und dabei trotzdem für den Piloten hochspannend sind.

Na ja … und dann ist da noch die Sache mit dem Wiedereintritt, denn irgendwie muss man die aufgenommene Ware dann schließlich auch zur Zielstation am Boden bringen. Das ist dann nochmal eine ganz andere Geschichte!

Ich hatte eingangs ja geschrieben, dass solche Soloprojekte im Early Access gerne mal in die Hose gehen. Sollte das bei diesem Projekt hier passieren: Drauf geschissen! Das macht zum jetzigen Zeitpunkt schon einen derartigen Spaß, dass ich in der nächsten Zeit noch oft in den Orbit starten werde. Wenn man Sir Isaac Newton als permanenten Bossgegner hat, dann braucht man einfach kein Kampfsystem mehr. Dann sind auch ganz einfache Liefermissionen schon hochspannend.

Und dann ist da noch ein kleiner Teaser, dass eventuell in Zukunft noch eine dritte Partei in das Spiel eingreifen könnte. Und die stammt nicht von der Erde …

Offenbar wird das Noren-System auch von Aliens heimgesucht, wie die Video-Footage in der Nachricht zeigt.

Wer nun neugierig geworden ist und gerne mehr sehen möchte: Hier noch zwei Videos zum Spiel.

Wer gerne einmal den Start in den Orbit und das Andocken an eine Asteroidenstation erleben möchte:

Und wer „Flight of Nova“ gerne selbst einmal ausprobieren möchte: Auf Steam gibt es eine kostenlose Demo, die man sich frei herunterladen kann!

Niels

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