„Incursion Red River“: You got any water left?
Es sieht aus wie „Escape from Tarkov“. Es fühlt sich ein bisschen an wie „Escape from Tarkov“. Doch es ist nicht „Escape from Tarkov“. Es ist ein Extraction-Shooter. Es ist ein Militär-Shooter. Und es ist etwas ganz Besonderes, denn es ist ein PVE-Shooter!
„Incursion Red River“ wird derzeit vom Studio „Games of Tomorrow“ entwickelt – einer recht überschaubaren Firma, die wohl im Raum München zu finden ist, soweit ich es auf die Schnelle herausfinden konnte. Momentan befindet sich das Spiel in der Prä-Alpha-Phase, ist aber schon spielbar.
Und wie es das ist!
Aber was ist „Incursion Red River“ eigentlich?
Im Kern handelt es sich um einen Extraktions-Shooter – eben ganz ähnlich wie „Escape from Tarkov“. Man startet in seinem Versteck („Hideout“), wählt dort eine Mission aus, rüstet sich mit allem Notwendigen aus und wird dann auf einer Karte ausgesetzt, um die Missionsziele zu erfüllen. Ist das geschehen muss man sich zu einem von mehreren möglichen Ausgängen begeben, um die Mission abzuschließen. Neben dem Erfüllen der primären Missionsziele kann man noch an mehreren Sekundäraufträgen arbeiten und natürlich jede Menge Beute einsammeln, mit der man später seine Ausrüstung aufrüsten oder ein Portmonee füllen kann. Wird man allerdings während des Einsatzes vom reichlich vorhandenen Feind erschossen, dann verliert man alles: Die gesamte Beute, die gesamte Ausrüstung und eine ganze Menge Ansehen bei der Fraktion, für die man gerade unterwegs war.
Im Gegensatz zum Vorbild von Battlestate Games gibt es bei „Incursion Red River“ allerdings eine Besonderheit: Es gibt kein PvP!
„Incursion Red River“ ist ein reiner PvE-Shooter. Der Multiplayer-Aspekt beschränkt sich bei diesem Spiel ausschließlich darauf, dass man die Missionen mit bis zu drei anderen Spielern kooperativ angehen kann. Ansonsten ist das Spiel eher für Solisten gedacht. PvP könnte man bestenfalls notdürftig improvisieren, indem man die „Friendly Fire“-Option beim Starten einer Mission auswählt. Ob oder inwieweit das überhaupt praktikabel wäre, lasse ich mal dahingestellt sein; ich hab’s noch nicht ausprobiert und ich habe auch keinen Bock drauf. Wer PvP will, soll eben „Escape from Tarkov“ spielen – oder den PvP-Teil von „Gray Zone Warfare“.
Aber auch ohne PvP geht „Incursion Red River“ stellenweise heftig zur Sache – und das wiederum erinnert mich an einen anderen, bereits etwas betagteren Shooter: „Project: I.G.I. – I’m going in“ aus dem Jahr 2000. Bei diesem Spiel genügte in der Regel ein gut gesetzter gegnerischer Treffer, um den Game-Over-Screen anzuzeigen. Bei „Incursion Red River“ kann dies ebenfalls ziemlich schnell passieren – sogar auf den niedrigeren Schwierigkeitsgraden. Die feindliche K.I. feuert nämlich stellenweise mit wirklich übler Genauigkeit, während die eigene Spielfigur selbst bei optimaler Körperpanzerung nicht allzu viel aushält.
Generell macht das gesamte Gameplay mächtigen Spaß. Wie immer die Entwickler es hingekriegt haben – sie machen unglaublich viel richtig, denn das fühlt sich alles sehr, sehr gut an. Die Bewegungen der Spielfigur, das Gunplay – ich finde, es ist fast genau so, wie es sein soll.
Außerdem sieht das Ganze auch noch fast unverschämt gut aus. Die Unreal-Engine zaubert wirklich eine tolle Dschungellandschaft daher mit stellenweise genial stimmungsvollen Beleuchtungseffekten.
Aber das ist natürlich alles nur ein Anfang, denn es wirklich ziemlich schnell klar, dass sich das Spiel noch in einem sehr, sehr frühen Entwicklungsstadium befindet, auch wenn vieles schon vorhanden ist. Hier mal eine kleine Liste:
- Vier Missionstypen mit jeweils mehreren Variationen für drei unterschiedliche Fraktionen.
- Eine ordentliche Auswahl an Waffen mit mehreren Sturmgewehren, Pistolen, Maschinenpistolen, Shotguns und Präzisionsgewehren.
- Eine große Liste von Waffenteilen, mit denen Waffen auf- und/oder umgerüstet werden können und die alle einen gewissen Einfluss auf das Waffenhandling haben.
- Diverse Ausrüstungsgegenstände: Helme, Westen, Rucksäcke – alles zu unterschiedlichen Preisen und mit unterschiedlichen Eigenschaften.
- Eine recht umfangreiche Karte mit einem Militärlager, einer Fabrik, einem Lagerhaus, einem Steinbruch, einer Radarstation, einem Fischerdorf, einem Wachturm und zwei weitgehend zerstörten Brücken. Dazwischen jede Menge Dschungel und verschlungene Pfade
- Eine ganze Menge Beutekisten mit Loot, das bei jedem Durchgang neu generiert wird.
- Ein Versteck mit einem Schießstand, an dem Waffen ohne Munitionsverlust ausprobiert werden können und einem Inventar, das sich in mehreren Rubriken organisieren und gegen Geld erweitern lässt.
- Feinde, die an unterschiedlichen Orten spawnen und in jeder Mission andere Patrouillenwege absolvieren.
- Drei auswählbare Schwierigkeitsgrade plus eine Custom-Option, die es erlaubt, das K.I.-Verhalten detailliert zu beeinflussen – man kann die K.I. wahlweise zum Stormtrooper, zum Terminator oder zu etwas dazwischen machen.
Es ist allerdings an allen Ecken zu sehen, wie unfertig das Spiel noch ist:
- Verschiedene Spielmechaniken sind noch nicht vorhanden. Kein Hunger, kein Durst, keine zeitliche Begrenzung.
- Fehlende bzw. kantige Animationen.
- Stellenweise matschige Texturen.
- Diverse technische Aussetzer wie flackernde Texturen, flackernde Schatten, zappelnde Leichen von Feinden.
- Kein nennenswertes medizinisches System – es gibt nur Schmerztabletten, die sofort heilen und Injektoren, mit denen ein niedergeschossenes Teammitglied wiederbelebt werden kann.
- Es gibt zwar schon eine Vielzahl von Waffen, doch viele davon sind weitgehend redundant und/oder fühlen sich gleich an. Außer Shotguns. Shotguns machen Spaß!
- Keine Granaten, keine Blendgranaten und kein Einfluss auf die Umgebung. Es kann nichts zerstört werden. Lediglich Türen können geöffnet oder geschlossen werden, mehr Interaktion ist nicht möglich.
- Nur eine Karte. Die ist zwar sehr abwechslungsreich und man entdeckt selbst nach 100 Spielstunden noch versteckte Beutekisten, aber … es ist eben nur eine Karte.
- Der Sound ist zwar schon gut getroffen und die Geräusche kommen knackig rüber, doch die immer wieder gleichen Sprüche der NPCs („You got any water left?“ – „Watch my ass, taking cover!“ – „Hey, Tango over here!“) zerren einerseits an den Nerven, sorgen andererseits aber für unfreiwillige Lacher.
Ok, aber jetzt kommt’s:
Da Ganze kostet momentan auf Steam sagenhafte 15 Euro!
Und wer gerade halbwegs aufmerksam gelesen hat, der weiß, dass ich inzwischen die 100-Spielstunden-Marke geknackt habe. Für 15 Euro. Für „Gray Zone Warfare“ habe ich mehr als das Doppelte gelegt, aber bei Weitem noch nicht so viel Spaß gehabt. Und ich bin noch lange nicht fertig. „Incursion Red River“ schafft es nämlich immer noch, mich zu motivieren – auch wenn ich schon so ziemlich alles gesehen habe und mehr als genug Geld bei mir habe, um mich mit den verrücktesten Ausrüstungsvarianten einzudecken.
Den größten Spaß macht es mir ohnehin, einen Einsatz komplett ohne Ausrüstung und nur mit der billigsten Pistole und genau einem Magazin zu starten – um dann zuzusehen, wie der 10-Sekunden-Countdown bei der Exfiltration heruntertickt, während meine Spielfigur mit Waffen und Loot behangen wie ein Weihnachtsbaum am Exfil-Punkt steht.
Aber das Entscheidende ist, dass sich das Spiel irgendwie „richtig“ anfühlt. Für meinen Geschmack passt hier einfach alles – und das fängt schon bei der Handhaltung an der Waffe an (eine Sache, die mich bei „Gray Zone Warfare“ oder „Ground Branch“ total ankotzt, denn dort umklammern die Spielfiguren ihr M4, als sei es ihr Pimmel … kein Mensch würde eine Waffe jemals auf diese Weise im Anschlag halten, mit dem Daumen über dem Rohr und damit direkt in der Visierlinie).
Und natürlich: Es ist singleplayertauglich!
Das ist eine Sache, die mich an den Platzhirschen im Genre (mit Ausnahme von „Gray Zone Warfare“, wo man durchaus als einsamer Wolf losziehen kann und nicht zur Interaktion mit anderen Spielern gezwungen ist) schon immer gestört hat: Eben die anderen Spieler. Bei „Escape from Tarkov“ gibt es Twitch-Streamer, die ihren Lebensunterhalt damit verdienen, dieses Spiel zu spielen. Von Morgens bis Abends. Nach einem Server-Wipe dauert es wahrscheinlich keine 12 Stunden, bis die ihr Level-Cap wieder erreichen. Als Casual-Zocker, wie ich eher einer bin, wird man dann mit solchen High-Skillern auf eine Karte geschmissen und stinkt binnen Sekunden ab. Darauf habe ich nun wirklich keinen Bock.
„Incursion Red River“ gibt mir in dieser Hinsicht genau das, was ich haben möchte: Einen Shooter, der in seiner Action beinhart, aber jederzeit beherrschbar ist. Den ich in meinem eigenen Tempo angehen kann und der mir immer eine faire Chance lässt, ohne dabei zu einfach zu sein.
Wenn ich es könnte, dann würde ich Spielbefehl für alle erteilen, die sich auf meine Webseite verirren. Kann ich aber leider nicht … und abgesehen davon verirrt sich ohnehin niemand hierher. Deswegen schließe ich nun mit der einzigen Frage, die noch zu stellen bleibt:
You got any water left?